Befehlsstrukturen
Die Compounds unterstanden einem Compound-Offizier, der in der Regel ein Stabsoffizier (Major, Oberstleutnant) war. Die höchste militärische Autorität war der Senior Allied Officer. Zwischen 1940 und 1944 war das auf Grund der Belegung mit vorwiegend Angehörigen der britischen Royal Air Force der Senior British Officer (SBO). Mit der rasanten Zunahme US-amerikanischer Offiziere wurde ein Senior American Officer (SAO) berufen. Beide Kommandoebenen unterstanden ab 1944 dem Senior Allied Officer, von den Kriegsgefangenen und Deutschen auch als alliierter Lagerkommandant bezeichnet.
Die strenge militärische Struktur des Kriegsgefangenenlagers gewährleistete die Aufrechterhaltung der Disziplin und sicherte außerdem, dass die Gefangenen gegenüber den Deutschen mit einer Stimme sprachen.
Deutsches Vorlager
Im deutsche Vorlager außerhalb der Compounds befand sich der deutsche Verwaltungsbereich. Im Jahr 1944 gehörten dazu eine Kommandobaracke, drei Kommandanturbaracken, das Offiziersheim, eine Verwaltungsbaracke, eine Paketbaracke, ein Kohleschuppen, die Badeanstalt (Duschen), eine Wirtschaftsbaracke mit Abfallschuppen, ein Kfz-Schuppen und das Gefängnis, das von den Kriegsgefangenen „Cooler“ genannt wurde. Die Stärke des deutschen Lagerpersonals betrug 900 Mann. Während die Bewachung der Kriegsgefangenen und die Besetzung der Wachtürme in den Händen der Stabskompanie lagen, übernahmen Landesschützenkompanien die äußere Bewachung des großen Lagerkomplexes.
Fluchtversuche
Der britische Offizier Bertram Arthur James schreibt in seinem bemerkenswerten Buch „Moonless Night“ (deutsche Publikation „Pechschwarze Nacht – Leben für die Flucht“):
„Jemand hat einmal Krieg als ‘lange Perioden von Langeweile unterbrochen von kurzen Perioden der Anpassung und des Terrors‘ bezeichnet. Das Leben eines Kriegsgefangenen schien eine Erweiterung zu sein. Es gab kein Ende der Langeweile, die sich endlos in eine graue Zukunft erstreckte. Wir waren junge Männer voller Tatandrang, die vom normalen Leben abgeschnitten worden waren. Wir mussten ein spartanisches Leben führen, in eine unnatürliche Gemeinschaft gedrängt, von Stacheldrahtzaun umgeben, bewacht von Wächtern mit Maschinenpistolen, in Wachtürmen oder patrouillierend mit Hunden. Die meisten hatten den Rang eines Offiziers, hatten für das Fliegen gelebt. Doch nun klebten wir am Boden, waren von Beförderungen und Karriere ausgeschlossen. Was noch schlimmer war: Wir waren nutzlos für den Krieg geworden. Der Krieg musste im Lager fortgesetzt werden! Wir würden unsere eigenen Perioden der Anspannung erzeugen, manchmal auch des Terrors. Wir würden eine Fluchtorganisation gründen, die im Laufe des Krieges immer wieder Ausbruchsversuche unternehmen würde. Damit sollten immer größere Ressourcen der deutschen Sicherheitsmaschinerie gebunden werden…“
Die im Stalag Luft I im Sommer 1940 in beiden Compounds gegründeten Fluchtkomitees organisierten unzählige, darunter spektakuläre Fluchtversuche. Als alle Insassen im April 1942 nach Schlesien (heute Zagan in Polen)überstellt wurden, ließen sie ein Lager zurück, dessen Untergrund von einem Netz von Tunneln durchzogen war, 45 davon allein im Offizierslager.
Der erste Tunnel im Stalag Luft I wurde von RAF-Offizieren im Sommer 1940 angelegt. Er war zugleich der erste RAF-Tunnel des 2. Weltkrieges. Die Deutschen entdeckten ihn allerdings im November 1940. Ihm folgte in den kommenden Jahren des Krieges weitere hundert.
Die erste erfolgreiche Flucht gelang im Mai 1941 dem schottischen Leutnant Harry Burton. Er schaffte es, in den „Cooler“ gesteckt zu werden. In seiner Kleidung hatte er eine Eisensäge versteckt, mit der er die Eisenstäbe des Zellenfensters durchsägte. Es gelang ihm, zum Tor des Vorlagers zu kriechen, eine genügend tiefe Rinne unter dem Tor zu graben, so dass er darunter kriechend in die Freiheit gelangte. Zu Fuß ging er nach Stralsund, von dort nach Saßnitz. In der Nacht des folgenden Tages konnte sich Burton an Bord einer Fähre nach Trelleborg schmuggeln und kam von Schweden nach Großbritannien. Sein erfolgreicher Ausbruch ermunterte alle, die davon Kenntnis erhielten.
Im August 1941 gelang es einem britischen Kriegsgefangenen, den Tagesausweis eines Schornsteinfegers zu „entleihen“ und von talentierten Experten eine Fälschung anfertigen zu lassen. Pat Leeson verfüge über gute Deutschkenntnisse. Er war wie ein Schornsteinfeger gekleidet, trug Zylinder und Mantel sowie alle notwendigen Utensilien wie Draht, Metallball und Bürste. Lessons geschwärztes Gesicht war eine gute Tarnung und mit dem gefälschten Pass hatte er keine Probleme. An einem eisigen Wintertag des Jahres 1941 passierte er unerkannt beide Wachposten an den zwei Toren. Doch das Wetter machte ihm einen Strich durch den genialen Fluchtplan. Er wurde nach einigen Tagen ergriffen, sicher froh, überlebt zu haben.
Ein tragisches Ende nahm der Fluchtversuch des britischen Feldwebels John Shaw im schneereichen Januar 1942. Gemeinsam mit zwei anderen Kriegsgefangenen kroch er über das von Schnee bedeckte Fußballfeld, wurde vom Wachturm aus entdeckt und erschossen. Für die beiden anderen war die Flucht nach einigen Tagen beendet.
Erfolgreich verlief die Flucht des britischen Leutnants John Shore im Oktober 1941. Während er durch einen sogenannten „Blitztunnel“ aus dem Lager entkam, wurde sein Kamerad B.A. James auf dem Lagergelände gestellt. Shore nahm die gleiche Route wie sein Landsmann Burton im Mai 1941, gelangte während der anstrengenden, aufregenden Fluchttage über Saßnitz per Fähre nach Schweden und schließlich nach England.
Unter den 76 Offizieren der RAF, die im März 1944 aus dem Stalag Luft III in Sagan durch einen 111m langen Tunnel ausbrachen, befanden sich 19 Kriegsgefangene, die ihre ersten Fluchterfahrungen im Stalag Luft I Barth gemacht hatten. Unter ihnen waren der Hauptinitiator Roger Burshell, seine engsten Mitstreiter Wing Commander Day, B.A. James, John Dodge, Sydney Dowse Und „Cookie“ Long. Ihre Freiheit währte nur kurz und hatte für die meisten tragische Folgen: 50 Offiziere wurden auf Hitlers Befehl erschossen, unter ihnen befanden sich 11 aus dem Stalag Luft I.
Day, James, Dodge und Dowse überstellte die Gestapo in das KZ Sachsenhausen, aus dem sie im September 1944 durch einen Fluchttunnel entkamen. Doch sie wurden wieder ergriffen und in den Todesblock verbracht. Im Frühjahr 1945 brachten SS Wachmänner sie und andere prominente Gefangene des Sonderlagers über mehrere Stationen wie die KZ Flossenbürg und Dachau in die Südtiroler Alpen. Dort wurde die 150 Mann starke Gruppe am 2. Mai 1945 von US-amerikanischen Truppen befreit.